Ich bin erschöpft.
Vielleicht sind es die zwei Monate insgesamt, vielleicht auch nur die letzte Woche, die durch Schlafmangel und Bintang-Konsum geprägt war, vielleicht ist es immer noch das Gado-Gado, das ich an meinem letzten Abend in Legian zur Hälfte verzehrt habe, vielleicht ist es aufkeimende Malaria (bitte nicht) oder der Husten, den ich seit Wochen mit mir rumschleppe, vielleicht habe ich heute in Saigon aber auch nur ein paar mehrspurige Strassen zu viel überquert (ganz sicher). Vielleicht bin ich diesmal auch ein klitzekleines bisschen traurig, wieder allein zu sein. Aber auch, wenn es mir gerade an jeglicher Energie fehlt, denke ich immer noch: Diese Reise ist die beste Idee, die ich je hatte!

Als ich in Ubud ankam, ging es mir ähnlich (“Where you go?” - “Don’t know.”, “Transport?” - “No, thank you.”, “Taxi?” - “No, thank you.”, “Massage?” - “No, thank you.”, “Transport?”) Deswegen zog ich mir am Abend eine traditionelle Tanzveranstaltung rein, ging am nächsten Tag in den Monkey Forest, machte zwei Häkchen und stieg in ein Taxi, das mich über die Berge fuhr, in den Norden nach Seririt.
Nach fünf Tagen Yoga, Ayurveda-Treatments, zwei Büchern (‘Wasser fuer die Elefanten’ und 'Alle Familien sind verkorkst’, empfehle ersteres), Hindu-Gebeten in Gesangsform, einigen Runden im Pool und einem Delfinwatching-Ausflug mit einem ca. 15jährigen, rauchenden Kapitän war ich wieder einigermaßen entspannt und beschloss: Jetzt zieh ich mir noch die Gilis rein! Eine angeblich paradiesische Inselgruppe zwischen Bali und Lombok, von denen die größte Insel Trawangan auch als guter Partyspot gehandelt wird. Um zum Boot zu gelangen musste ich nach Padang Bai. Doch als ich da ankam, bekam ich Halsschmerzen und weil ich das nicht wahrhaben wollte, besoff ich mich mit zwei Leuten, die mich vor einem Tauchshop vor meinem Hotel aufgegabelt hatten - einem “Local” und einer Holländerin. Letztere brach zu später Stunde in Tränen aus und erzählte mir, dass sie hierher gekommen war, um ein neues Leben mit dem Besitzer des Tauchshops zu beginnen, jener sie jedoch letzte Woche abserviert hatte. Ich nahm alle Beziehungsweisheiten aus gefühlten 250.000 Ratgeberartikeln zusammen, addierte Kopf-Tätscheln, ein paar Umarmungen und wüste Beschimpfungen den Tauchshopinhaber betreffend und fand mich eine Top-Trösterin. Dann stellte sich heraus, dass der Tauchshopinhaber verheiratet und Vater eines Kindes war und ich beobachtete mit Bedenken, wie die Holländerin ihn Kette rauchend nicht einmal anrief, auch nicht zwei oder dreimal, sondern fünfmal. Sie sah mich an und fragte mit tränenerstickter Stimme “Sag mir: Warum tut er mir das an?” Es war zu spät. Ich hatte eine neue Freundin.

Am nächsten Tag bekam ich Fieber und blieb im Bett. Erst zum EM-Spiel Deutschland vs. Holland stand ich wieder auf und traf mich mit der neuen Freundin in einer Bar. Sie verkündete: “Er ist auch hier” und deutete auf einen braun gebrannten Bodybuilder mit Stiernacken und Indianer-Tattoo auf dem Bizeps. Ich musste mich sehr zurückhalten, um nicht in schreiendes Gelächter auszubrechen und zu japsen: “Diese Karikatur ist der Grund dafür, dass dein Herz zerbricht?” Liebe ist für Aussenstehende wirklich ein Rätsel.

Als nach ein paar Tagen erste Morddrohungen von Seiten der Frau des Tauchshopinhabers ins Haus flatterten, entschied ich: “Holländerin, ich verlängere meinen Indonesienaufenthalt um fünf Tage und du und ich, wir brechen morgen nach Lombok auf.” Die Holländerin willigte ein. Es folgte ein lebensgefährlicher Roadtrip in den Süden Lomboks, auf dem wir uns und vier Taschen auf einem Mini-Motorrad balancierten, während die Holländerin Grand Canyon-gleiche Schlaglöcher umfuhr und die Locals wahlweise lachend mit dem Finger auf uns zeigten oder die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Als wir endlich Kuta/Lombok erreichten, dankte ich Allah auf Knien, dass er mich hatte überleben lassen. Die Holländerin zündete sich eine Zigarette an, runzelte die Stirn, blies den Rauch aus und sagte: “Ich hasse es hier.”
Da saß ich also, am Traumstrand mit einer heulenden Holländerin. Ich dachte: “Das verdirbt mir jetzt irgendwie schon so'n bisschen die Reise.” Und andererseits auch: “Ich kann sie unmöglich allein lassen.” (Sie hatte beim Abendessen ein Messer an ihr Handgelenk gelegt und nach der besten Schneidetechnik gefragt. Ausserdem stellte sich heraus, dass sie neben Liebeskummer auch Essstörungen, keinen Job und eventuell auch eine Hirnkrankheit hat.) Also blieb ich sitzen und seufzte einmal, so leise es nur ging.

Irgendjemand musste es trotzdem gehört haben. Denn kurz darauf sah uns ein Brasilianer die Straße entlangschlurfen und hechtete an den Zaun des Biergartens, in dem er sich gerade befand. Er war braun gebrannt, hatte das lebensbejahendste Lächeln, das man sich vorstellen kann und alles, worüber er sprach war “the best” und “fucking amazing”. Kurz: Er war das Gegenteil der Holländerin. Er war meine Rettung.