Auch, wenn ich keinen Bock habe, mir meine Reise durch stundenlanges Aneinanderreihen von Buchstaben zu versauen, muss die Geschichte zu Ende erzählt werden. Weil ich eine Getriebene bin, einfach nicht anders kann, der Welt berichten mu… Quatsch. Weil ich Angst habe, dass ich mich an die zweite Hälfte der Reise irgendwann überhaupt nicht mehr erinnere, wenn ich es nicht aufschreibe. Man wird nicht jünger.

Auf Vietnam bezogen kann ich allerdings nur sagen: Bring on the Alzheimers! Das ist natürlich nicht Vietnams Schuld, sondern meine eigene. Als ich ankam, ging ich erstmal ins Bett und schlief ungefähr fünf Tage lang. Zwischendurch torkelte ich ziellos durch die Stadt, kaufte gefälschte Brillen und bunte Taschen auf dem Ben Thanh Markt, schlurfte durch glitzi Einkaufszentren und wich ein paar Tausend Motorrad-Ninjas aus. Ich war müde und unzufrieden, denn das Essen in den Restaurants schmeckte überhaupt nicht so wie bei meinem Lieblingsvietnamesen in München. Mit anderen Worten: Es war die Hölle auf Erden. Schluchzend warf ich einen Blick in die Rubrik Beaches in meinem Reiseführer und stieg kurz darauf in den Bus nach Mui Ne. Neben mir nahm ein Vietnamese Platz, der auf meinen Schoß deutete und raunte: “Beautiful.” Ich: “My bag?” Er: “No.” “My… hand???” “Yes.” Und bereits sechs Stunden und viele Kniekontaktvermeidungsstrategien später öffnete mir meine schöne Hand die Tür zu meinem nicht so schönen Hotelzimmer. Die Bettwäsche roch nach Gulasch, das Duschwasser ganz schnörkellos nach Scheiße. Glücklicherweise konnte ich das Zimmer gleich wieder verlassen, denn ich hatte ein Date.

“I’m Alice!” “Alice?” “ALEX!!!” “Ok.”
Alice war der einzige im Bus gewesen, der auch wie ein Tourist aussah, deswegen hatte ich mich in der Pinkelpause an ihn rangewanzt. Ok, in erster Linie, um Schutz vor dem Handfetischisten zu suchen. Es stellte sich heraus, dass Alice Engländer war und dass er Reisen unglaublich interessant fand, London hingegen anstrengend und… Ich unterbrach ihn: “Willst du vielleicht heute Abend mit mir was trinken gehen?” Wollte er. Also trafen wir uns später in der laut Reiseführer angesagtesten Location der Stadt: Dem WAX. Außer uns waren nur noch drei Russen da, die schlechter Billard spielten als ich. Alice und ich betrachteten das hilflose Hantieren mit offenen Mündern und da sie schon mal offen waren, leerten wir Literflaschen Bier in ihnen aus. Danach ließen wir uns in den Sand am Strand fallen und guckten in den Himmel. Es blitzte ein paar Mal und Alice geriet komplett in Ekstase. “Woooohoooo!” brüllte er, angesichts des Naturschauspiels. “WOW!!! Woooohoooo!” Ich lag starr daneben und dachte: “Erleben wir gerade dasselbe?” Auf dem Nachhauseweg hatte ich einen Ohrwurm von Nirvanas All Apologies: I wish I was like you - easily amused.

Am nächsten Morgen ging ich allein zum Strand und glotzte aufs graugrüne Meer, das vor meinen Augen wütende Wellen formte. Und einen großen Mittelfinger, wenn mich nicht alles täuschte. Ich machte auf dem Absatz kehrt und buchte eine Tour zu den Sanddünen. Es gibt weiße und es gibt rote, vorher fährt man noch zu einem Flussbett, das man barfuß hoch und runter laufen kann. Und die Dünen kann man auf einem Stück Plastik runterrutschen. Das macht Spaß! Wir waren eine rein weibliche Gruppe, ein paar Holländerinnen, außer mir noch eine Deutsche (an ihrer “North Face” und “Mammut”-Ausrüstung zu erkennen), eine andere kam aus Israel und eine aus Singapur. Weil ich nichts weiter vor hatte und ich Alice nie wieder sehen wollte, schlug ich vor: “Lasst uns doch heute Abend was essen gehen!” Schnell wurde klar, dass ich darunter etwas anderes verstand als die anderen. Ich: Essen, dazu Bier oder Wein trinken, sich kennenlernen, nett unterhalten und viel lachen, danach spät, aber gut gelaunt ins Bett gehen, sich am nächsten Tag bei Facebook adden. Die anderen: Essen, gar nichts trinken, kein Gespräch führen, stattdessen mit schräggelegtem Kopf und mildem Lächeln einem Live-Gitarristen zuhören, sich am nächsten Tag bei Facebook adden. Auf einmal erschien mir mein Gulaschbett total einladend.

Am nächsten Tag hatte ich vorzeitig die Schnauze voll von Mui Ne und fuhr zurück nach Saigon. Es funktionierte wie in Hawaii: Fühlt man sich an einem Ort unwohl, einfach ein paar Tage irgendwo hinfahren, wo es noch schlimmer ist - schon fühlt man sich bei der Rückkehr an den Ausgangsort wie Zuhause! Ich zog in ein Hotel und buchte für den nächsten Tag eine Mekong-Tour. Und, was soll ich sagen: Plötzlich war Vietnam wunderschön. Wir besichtigten einen buddhistischen Tempel, tuckerten mit einem alten Kahn nach Unicorn Island, aßen Sommerrollen mit frischem Fisch und exotische Früchte, wurden mit Kutschen und Ruderbooten rumgefahren und umarmten eine riesige Schlange! Und einander!
Als ich am Abend wieder ins Hotel kam, war ich so glücklich, dass ich dachte: “Fast schon ärgerlich, dass ich für morgen einen Flug nach Dubai gebucht habe."